Pilotreise auf der MS Valentina – SeaWell im ersten Bordversuch

Bremerhaven, 21.–29. Juli 2025 – Ein interdisziplinäres Forschungsteam um Prof. Dr. med. Marcus Oldenburg (Leitung der Arbeitsgruppe Schifffahrtsmedizin, ZfAM) und Dr. Lukas Belz ( Spezialist für Nautik und Maritime Technik) evaluierte die KI‑gestützte Gesundheitsplattform SeaWell unter realen Schiffsbetriebsbedingungen an Bord der MS Valentina (Reederei Döhle).

Verzögerter Start, gewonnene Zeit

Änderungen im Zeitablauf verzögerten das Auslaufen um zwei Tage. Das Team nutzte das Zeitfenster für letzte technische Anpassungen: Aktivierung tagesbezogener Interventionen, eine Anpassung der Netzkonfiguration für das Sensornetzwerk und die Verteilung der App per APK‑Datei (der Google‑Play‑Release stand noch aus). Bei der Bordpräsentation stellte Prof. Oldenburg das Team, den Inhalt und das Projektdesign von AI-healthy ship vor; der Kapitän motivierte seine Crew ausdrücklich zur Teilnahme. 17 von 19 aktiven Besatzungsmitgliedern meldeten sich freiwillig – ein klarer Hinweis auf das grundsätzliche Interesse an dem Thema.

Installation unter Bandbreiten‑ und Geräteheterogenität

Unterschiedliche Sicherheitsabfragen standen einer reibungslosen Installation im Weg: Asiatische Geräte akzeptierten die APK nach einer einfachen Rückfrage, während europäische Firmware mehrere manuelle Freigaben in den Sicherheitseinstellungen verlangte – ein knapper Step‑by‑Step‑Guide war für eine Kleingruppenschulung vorgesehen und als ppt-Präsentation entworfen.

Parallel installierte Herr Neben von den Lionizers zusammen mit Dr. Belz und dem Bordelektriker noch im Hafen sechs Raspberry‑Pi‑Gateways mit Sensoren (Brücke, Flure, Hospital) zur lokalen Erhebung von physikalischen Daten – Lärm, Vibration, CO₂, Temperatur. Die Infrastruktur lief in der orientierenden Sichtung an Bord stabil.

Medizinische Baseline und erste Nutzungsdaten

Die verteilten Fitness‑Tracker (Polar M430) wurden von vielen Crewmitgliedern begeistert genutzt. Das unmittelbare Feedback zu Schrittzahl, Herzfrequenz und Schlafdauer steigerte das Eigenengagement spürbar und belegt das Potenzial von Tracking‑gestützten Empfehlungen, Bewusstsein in nachhaltiges Handeln zu übersetzen.

An zwei Messstationen wurden vor und nach jeder Schicht die Pupillometrie und der Blutdruck bzw. PVT‑Reaktionszeiten und die aktuelle subjektive Müdigkeit erfasst. Nach 72 Stunden zeigte eine orientierende Auswertung: Rund 40 % der Crew hatte SeaWell nur sporadisch oder überhaupt nicht aufgerufen – ein mögliches Signal für User Experience‑ und Aktivierungsdefizite.

Qualitative Interviews statt zweiter Cross‑Shift‑Messung

Am 25. Juli ersetzte das Team die geplante Wiederholungsmessung durch strukturierte 15‑Minuten‑Interviews. Außerdem wurden Installationsstatus, Interventionennutzung, Fitness-Tracker‑Synchronisation und Profildaten‑Vollständigkeit überprüft. Größtes technisches Hindernis: Die Polar M430 synchronisiert Ihre Daten mit der zugehörigen App in erster Linie manuell mit unintuitiver Auslösung. Die Synchronisation ist allerdings die Voraussetzung für den Datenaustausch via Google Health Connect zu SeaWell..

UX‑Hürden und kulturelle Präferenzen

Ein wiederkehrendes Feedback lautete: „funktional, aber noch wenig motivierend“. Die Großteils philippinische Crew wünschte sich konkrete Interventionsvorschläge basierend auf ihren aktuell erhobenen biometrischen Daten und zum Teil kulturell‑religiöse Tageszitate. Solche Inhalte erhöhen psychische Resilienz, stärken Zugehörigkeitsgefühl und fördern intrinsische Motivation – Schlüsselelemente jedes Well‑being‑Konzepts.

Vorschau

Am 28. Juli wurden die von den verschiedenen Sensoren gesammelten Daten erfolgreich geprüft und bilden nun die Grundlage für das Mini-Modell (MVP 1). In einem anschließenden Debriefing am 6. August wurden fünf zentrale Handlungsfelder definiert: Es soll die Benutzerführung noch intuitiver werden, Inhalte sollen kurz, multimedial und relevant sein, die Kommunikation soll einheitlich und transparent erfolgen, die Technik zuverlässig und einfach in der Handhabung sein, und die Rückmeldungen der Fitness-Tracker sollen für die Nutzer motivierend sichtbar sein.

Die nächste Borduntersuchung ist in etwa sechs Monaten auf einem weiteren Schiff der Reederei Döhle geplant. Dabei wird geprüft, wie gut sich das System in einer neuen Umgebung installieren lässt und ob die Ergebnisse übertragbar sind.

Glossar

BegriffKurzdefinition
APKInstallationsdatei für Android‑Apps außerhalb des Google Play Stores.
PVT (Psychomotor Vigilance Task)Reaktionstest zur objektiven Messung von Alertness/Müdigkeit.
Raspberry Pi‑GatewayKleinstrechner, der Sensordaten lokal sammelt und bei Netzverfügbarkeit synchronisiert.
Intervention (SeaWell)Kurzformat (z. B. Dehnübung, Atemtechnik), das die App situationsbezogen vorschlägt.
Satelliten‑NetzSchiffsinternes WLAN mit begrenztem Datenvolumen, via Satellit angebunden.